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Stockholm


Ein Junge rennt mit dem Ball am Fuß die staubige Straße hinunter zum Hafen. Er umdribbelt einen im Weg liegenden Hund, überspringt ein Schlagloch, spielt Doppelpass mit einer besprühten Mauer. Endlich Fußball! Jetzt, hier auf der Straße und heute Nachmittag im Stadion. Eine kurze Atempause während der Revolution. Kann es das geben?

Am Hafen geht die Sonne auf. Riesige Frachter, beladen mit hunderten Containern, dringen vom Kanal hinaus ins Mittelmeer. Der Junge blickt zum Horizont, sitzt auf seinem Ball und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Wann hört das nur endlich auf?
Er ist noch viel zu jung und kann sich doch nicht entziehen. In der ersten Reihe stehen seine Freunde. Und sie erwarten es auch von ihm. In diesen Tagen kann man sich nicht ducken. Aber in wenigen Stunden ist Anpfiff und alles andere ist egal. 90 viel zu kurze Minuten.
Ausgebrannte Autos am Wegesrand. Kaum Polizei präsent. Das Stadion in Sicht. Die Jungs, allesamt Nachwuchsspieler, haben Karten für den neutralen Bereich des Stadions. Doch es gibt keine entspannte Atmosphäre bei einem Fußballspiel, schon lange nicht mehr und so auch heute nicht.
Die Erzrivalen treffen aufeinander, das Flimmern in der Luft ist noch stärker als sonst, die Fans sind noch konzentrierter, als könnten sie dadurch den Spielausgang beeinflussen. Der Junge vom Hafen guckt den Spielern beim Aufwärmen zu, merkt sich einzelne Übungen. Später will er sich auch so professionell vorbereiten.
Eine erste Schlägerei zwischen den Fangruppen. Sie währt nur kurz. Ein Strohfeuer? Das Spiel beginnt. Es geht hin und her. Keine Atempause. Tore fallen. Doch das ist nicht nur ein Spiel. Die Straße ist im Stadion, das Grün wird grau. Es gibt keine Flucht, nicht in diesen Tagen und schon gar nicht im Stadion. Der Junge hat sich getäuscht.
Brandsätze und Steine in der Luft. Und ein Ball. Kein Spielabbruch. Was ist hier los? Die Spieler sind wie in Trance. Die Tribünen spielen verrückt. Weiter. Nicht aufhören. Abpfiff. Und es geht erst richtig los. Messer, Schlagstöcke und Schwerter. Die wenigen Polizisten nicht in Sicht. Blut. Panik. Geschlossene Tore. Der Junge will nur noch weg. Raus hier. 74 Tote, 1000 Verletzte.
Zwei Jahre später. Die Lage im Land hat sich beruhigt. Der talentierte Junge spielt jetzt Fußball in Europa. Er kann es schaffen - was für eine Chance, fern der Heimat. Ein letztes Mal fliegt er zurück, packt seine Sachen, verabschiedet sich von der Mutter. Da erreichen ihn Bilder von einem Testspiel seines neuen Vereins: Leuchtfeuer, Raketen, Platzsturm. Weswegen? 
Wegen eines Banners aus einer längst vergessenen Zeit.