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Hilde und Kerstin gingen zusammen mit Ulla in eine Klasse. Ihre Schule lag am Ende einer Allee. Jeden Morgen gingen die Mädchen an den Pappeln entlang und auf das alte, den Horizont verdunkelnde Gebäude zu. Ulla ging stets auf der linken Straßenseite, Hilde und Kerstin auf der rechten. Alle drei Mädchen waren in etwa gleich alt.

Ihre Stadt war eigentlich eine ganz gewöhnliche, wäre da nicht vor wenigen Jahren das Feuer gewesen. Die gefräßige Hitze verwandelte die einst so mächtigen Pappeln in gebrechliche, pechschwarze Knechte der Natur. Wenn die Mädchen auf dem Weg zur Schule mit dem Kichern anfingen und auf den umgestürzten Baumstämmen herumturnten, zischten die in den verkohlten Astlöchern schlafenden Krähen aufgebracht hervor und stoben in den Himmel, um sich auf dem Spitzdach der Schule niederzulassen und auf das Eintreffen der Schülerinnen zu warten.

Früher waren Ulla und Hilde normale Bekannte. Sie luden sich gegenseitig zum Geburtstag ein und halfen sich bei den Hausaufgaben. Nach einiger Zeit verloren sie sich aus den Augen und aus dem Sinn. Ulla ging ihren Weg. Hilde hingegen fand in Kerstin ihre allerbeste Freundin. Die beiden entwickelten sich zu gefürchteten Anführerinnen. Alle Kinder spurten, niemand wagte, sich zu widersetzen. Einzig Ulla wollte sich nicht fügen. Und so begannen Hilde und Kerstin, Ulla zu hänseln. Sie verbreiteten Lügen über sie und isolierten sie dadurch von den anderen Schülerinnen. Doch Ulla störte all dies nicht. Sie ruhte in sich, ließ sich nicht provozieren. Stoisch ertrug sie, wie die beiden sie regelmäßig auf dem Pausenhof auslachten und herumschubsten. Dass Ulla keine Reaktion zeigte, machte Kerstin und Hilde jedoch nur noch wütender.

Und so kamen die beiden eines Tages als ungebetene Gäste zu Ullas Geburtstagsfeier, warfen ihre Torte um, schütteten verkohlte Baumrinde in die Bowle und stachen die Reifen von Ullas neuem Fahrrad kaputt. Ulla, ein Mädchen mit schier unendlicher Gelassenheit, blieb während dieser Arie der Zerstörung ruhig in ihrer Hängematte liegen. Doch wenn man genau hinsah, konnte man ihre feuchten Kinderaugen sehen. Auch Ulla konnte sich nicht ewig beherrschen. Innerlich tobte sie und rang mit sich, ob sie reagieren sollte oder nicht.

Während die anderen Gäste schüchtern ihre Blicke abwendeten und Hilde und Kerstin sich daran machten, Ullas Geschenke auszupacken, wich ein kaum merklicher Schauer über die Nacken aller Anwesenden. Schlagartig verstummte die Szenerie, die Leute erstarrten. Unweigerlich richteten sich die Blicke hin zur Hängematte, in der Ulla scheinbar seelenruhig vor sich hin schlief. Einzig eine Krähe drehte unablässig ihre Runden hoch über der Gesellschaft, darauf wartend, sich auf die Reste des Essens stürzen zu können.

Schon wich der Schreck wieder aus den Gliedern, da erhob sich ganz langsam ein schemenhafter Geist aus der Hängematte empor. Ullas Körper rührte sich zwar immer noch nicht, doch wandelte sie nun gleichzeitig als kaum zu identifizierender Nebel aufrecht über dem Boden und über die Tortenreste hinweg auf Hilde und Kerstin zu. Die Leute standen wie angewurzelt da, allein ihre Augen folgten der kindlichen Gestalt, die mit einem fürchterlichen Lächeln und einer Sense in der Hand auf die ungebetenen Gäste zuhielt. Hilde und Kerstin hatten keine Zeit zu reagieren. Die von zarten Händen geschwungene Sense traf die Hälse der beiden mit einem perfekten Schwung.

Langsam wich Ullas Ebenbild zurück und legte sich auf die echte, immer noch dösende Ulla und war verschwunden. Die Blicke der Menschen wanderten von der Hängematte hin zum blutigen Schauplatz. Doch dort war kein Blut zu sehen. Hilde und Kerstin standen äußerlich unversehrt mit bleichen Gesichtern im Tortenmatsch.

Als Ulla ihre Augen öffnete, war sie allein im Garten. Alle Gäste haben überstürzt das Areal verlassen. Auch Hilde und Kerstin. Einzig die Krähe pickte zufrieden in den Kuchenresten herum.